Sonntag, Februar 25, 2007

Wir kennen eigentlich nur das, was sich selbst kennt. Von diesem
tiefsinnigen Gedanken aus erscheint die Konsequenz natürlich: die
Natur ist unbegreiflich per se. Sie ist es gar nicht aus einem zufälligen
Grunde, sondern sofern das Licht des Bewußtseins sie nur von außen
trifft. Sie erscheint nun aber als ein Universaltropus des Geistes, d. h.
als ein symbolisches Bild desselben. Demgemäß ist sie durch diesen
allein verständlich. Und wie nun Hardenberg in betreff des innersten
Geheimnisses unserer selbst in unaufhörlichen Vermutungen begriffen
ist: so sieht er auch das diesem entsprechende Innerste der Natur wie
in den wechselnden Beleuchtungen solcher auf- und absteigender
letzter Konzeptionen. »Die Welt ist eine sinnlich wahrnehmbare, zur
Maschine gewordene Einbildungskraft.« Dann wieder erscheint ihm
das Herz als der Schlüssel der Welt. Oder er findet, daß wir immer
zuletzt an den Willen stoßen, als hervorbringenden Grund. Dieser
Wechsel, vermöge dessen das ganz voneinander Abstehende wie
Schatten ineinander verfließt, liegt in der Natur dieser Konzeptionen.
Er erscheint schon in Jakob Böhme, dessen Einfluß hier, wie in
Schellings späterer Epoche und in Schopenhauer sichtbar ist.
Ganz deutlich ist nur die negative Erkenntnis, daß die Welt, wie wir
sie nicht anders als nach Analogie unseres Ich aufzufassen vermögen,
nicht aus der Vernunft, als dem Grundcharakter desselben erklärt
werden könne, sondern aus einer gärenden Tiefe dieses Ich, welche,
uns selber Geheimnis, in Wille, Gemüt oder Einbildungskraft
mindestens ebenso primär hervorbreche.
(Dilthey . Das Erlebnis und die Dichtung 1906)